Filmszene mit Paula Beer

Paula Beer: „Es ist eine Art Trost, wie sich in einem kleinen Kosmos die Welt wieder fügt“

Die Wucht des Feingefühls

8 Min.

© Piffl Medien/ Schramm Film/ Stadtkino Filmverleih

Paula Beer ist nicht auf Social Media und gibt nicht allzu viele Interviews. Auch weil sie nicht die Magie des Films verraten will. Ganz viel davon wohnt in Christian Petzolds „Miroirs No. 3“ inne, in dem sie die junge Pianistin Laura verkörpert.

Es ist kein besonders schöner Ort, an dem Laura steht. Unter einer Brücke, über die der Verkehr rollt. Sie schaut auf das Wasser. Vielleicht nachdenklich, vielleicht traurig. Das ist noch nicht klar. Gräser und Sträucher bewegen sich sanft am Ufer, ein Stand-up-Paddler zieht langsam vorbei und macht das Wasser hörbar. Nur ein wenig später, ganz anderswo: Betty streicht ihren Zaun. Vor ihrem Haus, das weit weg von einer Stadt oder einem Dorf zu stehen scheint. Als Laura im Cabrio sitzend an ihr vorbeifährt, treffen sich ihre Blicke. Da sitzen auch noch andere im Auto, aber dieser Blickkontakt gehört nur den beiden. In diesem Moment beginnt ihre gemeinsame Geschichte, die hier zusammenzufassen unverantwortlich wäre.

Eine Zusammenfassung nähme Christian Petzolds „Miroirs No. 3“ jene magische Spannung, die er und das Ensemble während des ganzen Films aufrechtzuhalten verstehen. Nur so viel: Es passiert gleich zu Beginn ein
schlimmer Unfall, den Laura überlebt, Betty wird zur Ersthelferin. Durch Zufall, die beiden kennen einander nicht. Die Rettung kommt, Laura ist erstaunlicherweise fast unverletzt – und will bei Betty im Haus bleiben. Und als ob das nicht schon an sich ungewöhnlich wäre, stimmt Betty nach einem Augenblick der Irritation zu. Schon bald wird Laura Jeans und Shirt tragen, die ihr die zuvor fremde Frau bereitstellt – und das Gewand wird ihr wie angegossen passen. Und wieso kann die junge Frau die Leibspeise von Bettys Männern kochen? Ein Thriller? Ein Horrorfilm? Weder noch.

Christian Petzolds Kinofilm „Miroirs No. 3“ erzählt einen winzigen, aber sehr bedeutenden Moment einer Familiengeschichte, die gleichsam wie ein Spiegel das zu zeigen vermag, was man gerade sucht. In einem Punkt werden wir uns vermutlich alle treffen: „Der Film ist eine Art Trost“, sagt die Schauspielerin Paula Beer. Für die schmerzvolle Trauer beispielsweise. Diesen Gedanken nährt auch der Titel, den der Filmemacher Maurice Ravels Klavierstück entlehnt und der im Untertitel „Une barque sur l’océan“ (Ein Boot auf dem Ozean) heißt.

Ist dieses Boot vielleicht das Miteinander, die Verbindungen, die zwischen Menschen entstehen können, wenn man nach ihnen sucht – und sich um sie bemüht? Seit Kurzem ist Christian Petzold Präsident der Viennale; „Miroirs No. 3“ war der Eröffnungsfilm des im Oktober gelaufenen Festivals und er startet offiziell am 7. November im Kino. Mit Paula Beer arbeitete der Filmemacher schon in mehreren Filmen zusammen, zuletzt bei „Roter Himmel“ (2023). Im Vorjahr war die Berlinerin in Kilian Riedhofs „Stella. Ein Leben.“ zu sehen, einem Kinofilm, der auf der wahren Geschichte von Stella Goldschlag basiert: einer Jüdin, die um ihr Leben zu retten mit der Gestapo kooperierte.

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Paula Beer, Tochter eines Künstler:innenpaares, war 14 Jahre jung, als sie an der Schule von einer
Schauspielagentin zu einem Casting eingeladen wurde. Für ihre Darstellung der Halbwaisen Oda erhielt sie ihren ersten Preis, eine sehr lange Liste an weiteren Auszeichnungen und Nominierungen säumt bis heute ihren Weg.

Paula Beer im Interview

Du spielst in „Miroirs No. 3“ Laura. Wie beschreibst du sie?

Paula Beer: Sie ist etwas verloren und überfordert. Sie steckt tief in einem System, in dem es um Leistung geht und darum, einem Bild entsprechen zu wollen. Dabei ist sie irgendwie von sich verrutscht, hat sich von sich selbst entfernt. Ihre Reise im Film ist auch eine Reise zu sich selbst, eine Erdung und auch eine Änderung ihrer Werte und dessen, was am Ende zählt. Und das ist nicht ein Klavierstück perfekt zu spielen, sondern vor allem ein gutes Verhältnis zu sich selbst zu haben, aber auch die Ruhe für das Zwischenmenschliche. Fehler machen einen menschlich, und nicht die perfekt gespielten Töne allein bewegen, sondern das Gefühl dahinter. Ich mochte es, Laura zu spielen – und auch die Zeit in der Uckermark (einem Lieblingsdrehort von Christian Petzold, Anm.), weit weg von der Stadt mit ihren vielen Eindrücken. Die Dreharbeiten dort waren wie ein tiefes Durchatmen, ein sich darauf Besinnen, was bleibt.

Für mich ist der Film auch eine Art Erinnerung, dass wir, trotz all dem Schrecklichen, was in der Welt passiert, auf das, was ganz nah ist, nicht vergessen dürfen. Wie erlebst du das?

Ich glaube, es ist kein Entweder-oder. Der Film zeigt auf jeden Fall die Wichtigkeit und die Konzentration auf einen Mikrokosmos, dass man zunächst bei sich zu gucken hat, bevor man sich über andere aufregt. Mir ging es schon beim Lesen des Drehbuchs so, beim Drehen auch – und jetzt auch mit dem fertigen Film: Es ist wie ein Trostpflaster, zuschauen zu können, wie sich in einem ganz kleinen Kosmos die Welt wieder fügt. Es ist wichtig, dass Heilung stattfinden kann, dass auch aus ganz schlimmen Dingen etwas wachsen kann. Ich bin der Überzeugung, wenn sich jede:r gut um sich selbst kümmern und selbst mit den schlimmsten Dingen, die einem widerfahren, einen Umgang finden würde, wäre weniger Chaos auf der Welt. Vielleicht ist es gerade jetzt extrem wichtig, nicht nur ins Außen zu gucken, weil man gegenüber vielen schrecklichen Dingen, die auf der Welt passieren, ohnmächtig ist, aber wir alle auf das Zwischenmenschliche, auf unser Umfeld achten können.

Zum klassischen Happy End kommt es nicht, aber ich mag das Ende. Was magst du verraten?

Es gab sogar auch ein anderes Ende, fast ein klassisches Happy End. Das ist auch das Tolle am Film, dass man sich manchmal wegträumen kann. Aber hier werden sich nicht alle am Schluss im Arm liegen. Ich mag diese moderne Version: Laura hat etwas erfahren, das für sie heilsam war, und auch die Familie hat dadurch ein Stück Heilung erfahren. Es hat ihnen geholfen, mit ihren Traumata umzugehen, aber manche Sachen kann man einfach nicht klären.

Das ist leider selten geworden, dass man sich einfach zu zweit hinsetzt und ein Lied hört.

Paula Beer, Schauspielerin

Musik spielt in „Miroirs No. 3“ eine wichtige Rolle. Du hast selbst Klavierspielen gelernt – wie hast du die Musik im Film erlebt und wie wichtig ist sie in deinem Leben?

Für gewöhnlich kommt die Musik im Film im Nachhinein dazu und man ist manchmal überrascht, wie anders eine Szene wirkt, als sie beim Spielen war. Oft ist die Musik in Filmen fremd oder befremdlich, weil sie beim Drehen nur angespielt wird und man danach extra laut reden muss, obwohl sie längst abgedreht wurde, damit es danach zusammenpasst. Das verhindert Christian (Petzold, Anm.), indem er die Musik tatsächlich spielt. Selbst wenn man dafür den Dialog für den Ton danach noch einmal sprechen muss. Eine meiner Lieblingsszenen ist die, als Laura und Max vor der Werkstatt sitzen und Musik hören. Da war wirklich Raum dafür da; man sieht, was dabei passiert. Ich glaube, das ist heute sowieso selten geworden, dass man sich zu zweit hinsetzt und einfach mal ein Lied hört. Ich finde es auch im Kino so toll, das Lied zu hören! („The Night“ von Frankie Valli & The Four Seasons) Die beiden Klavierstücke im Film haben für mich bedeutet: lernen und spielen. Das ging mit dem Stück von Chopin gut, bei „Miroirs“ hatte ich aufgrund des Schwierigkeitsgrades Bedenken (lacht). Ich spiele also den Anfang und das, was man nicht mehr sieht, ist außerhalb des Machbaren für mich. Musik als Hintergrundrauschen zu erleben, beispielsweise in Cafés, nervt mich oft. Ich kann bei Musik nicht lesen und ich höre sie ganz selten unterwegs mit Kopfhörern. Weil ich Musik wahnsinnig toll finde, mag ich sie lieber ausgewählt und nicht nebenbei.

Wie gelingt es dir, dich so intensiv in Rollen zu vertiefen?

Das Wichtigste ist für mich, dass das Buch schon beim Lesen etwas mit mir macht, dass da irgendetwas in mir resoniert, mich bewegt, mich interessiert. Ich finde, dass das Spielen ein fordernder Beruf ist. Ich frage mich bei manchen Kolleg:innen, wie sie es energetisch schaffen, ich drehe nicht so viel. Es braucht schon viele meiner Zellen (lacht) – und das im entsprechenden Moment zu hundert Prozent. Ich suche mir sehr genau aus, wo ich bereit bin, das zu geben. Wenn ich aber dann mit der Figur vor der Kamera stehe, gehören die Sekunden und Minuten nur der Figur.

Du verzichtest auf Social Media. Warum?

Das hat mich einfach nicht so interessiert. Irgendwann hieß es, Leute, die mehr Follower haben, werden mehr besetzt. Ach ja … Ich habe mal gehört, ich sei dabei angenehm unambitioniert (lacht). Wenn jemand einen Film mit mir sieht und gerne mit mir arbeiten möchte, dann freue ich mich wahnsinnig darüber, aber ich muss das nicht auf diese Weise forcieren, das entspricht mir einfach nicht. Außerdem ist es so: Wenn ich ein Gesicht zu oft sehe, irritiert mich das. Ich möchte bei einem Film gerne glauben, dass die Person in dem Moment die Figur ist.

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