
Bodycount: Hatte ich zu wenig Sexualpartner:innen? Oder zu viele?
Warum es kein richtig oder falsch gibt
© Unsplash/Kate Tepl
Der sogenannte „Bodycount“, also die Anzahl unserer Sexualpartner:innen, ist immer wieder Thema in den sozialen Medien. Während Männern eine hohe Zahl als Leistung ausgelegt wird, eilt Frauen mit einem aktiven Sexleben noch immer ein schlechter Ruf voraus. Der Bodycount ist besonders für junge Menschen Thema – nicht selten ausgelöst durch Vergleiche im Freundeskreis, Social Media oder verschiedenen Reality-Formaten.
Wer nur mit einer einzigen Person sexuelle Erfahrung gemacht hat, fragt sich vielleicht: Habe ich etwas verpasst? Mit dieser Frage beschäftigt sich auch Romina* immer mal wieder. Die 34-Jährige ist seit ihrer Jugend mit ihrem Partner zusammen – und hat noch nie mit jemand anderem geschlafen. „Als ich Anfang zwanzig war, habe ich mir öfter die Frage gestellt: Wie ist es wohl, mit jemand anderem Sex zu haben?“, erzählt sie. „Man sieht jemanden auf einer Party oder in der U-Bahn und das Kopfkino geht los.
Das wäre aber auch so, wenn ich mehr als nur einen Sexualpartner gehabt hätte“, betont sie. Diese Gedanken kommen nicht aus einer Unzufriedenheit heraus – eher aus Neugier. „Ich hatte nie das Gefühl, dass ich unbedingt etwas nachholen muss“, sagt sie. Ob sie in der Zukunft häufiger mit FOMO – also der „Fear of missing out“ zu kämpfen haben wird, kann Romina aber nicht ausschließen.
„Was, wenn das die einzige sexuelle Erfahrung bleibt, die ich je mache?
Nur einen einzigen Sexualpartner zu haben kommt immer wieder vor, weiß die Wiener Psychotherapeutin Nicole Kienzl aus ihrer Praxis. Sie begleitet regelmäßig Klient:innen, die mit Unsicherheit, Reue oder Druck rund um das Thema Sexualität kämpfen.
Einstellungssache
Manchmal äußern Klient:innen Zweifel, dass sie zu wenig Erfahrungen gemacht haben. „Ständig wechselnde Geschlechtspartner:innen bedeuten aber nicht, dass man erfahrener ist als jemand, der lange in einer Beziehung lebt“, betont die Paar- und Sexualtherapeutin. „Letztlich kommt es auf die eigene Lebenseinstellung an. Wenn ich mit 16 den Partner fürs Leben finde – warum sollte ich dann etwas anderes ausprobieren, wenn es für mich passt?“

Persönlichkeit spielt eine Rolle
Ob wir im Einklang mit unserem sexuellen Erfahrungsschatz sind, hänge auch von der Persönlichkeitsstruktur ab, betont Kienzl: „Risikofreudige, neugierige Menschen bevorzugen wahrscheinlich eher wechselnde Partnerschaften als jene, die auf Sicherheit und Vertrautheit Wert legen“, sagt sie. Auch das familiäre Umfeld spiele eine Rolle. „Wer seine Eltern in einer glücklichen, erfüllten Beziehung gesehen hat, möchte eher dieses Modell leben.
Konfliktreichere Liebesbeziehungen zwischen Eltern geben mehr Anlass dazu dieses als eher abschreckendes Beziehungsmodell zu sehen.“ Wie Studien zeigen, ist auch unser Hormonhaushalt nicht ganz unbeteiligt, weiß die Psychotherapeutin: „Männer mit einem erhöhten Testosteronspiegel neigen laut Untersuchungen dazu, häufiger Partner:innen wechseln zu wollen.“
Sehnsucht nach Bindung & Beziehung
Vergleiche durch Social Media und die Schnelllebigkeit von Online-Dating-Apps bringen heutzutage viel Stress ins Liebesleben, weißt die Paartherapeutin. „Es entsteht zum Teil viel Druck, weil auf diesen Plattformen suggeriert wird, man müsse Partner:innen ständig wechseln.“ Dabei zeigen Studien, dass sich Jugendliche nach mehr Beständigkeit sehnen als es in früheren Generationen der Fall war: „Junge Erwachsene werden tendenziell später sexuell aktiv, entscheiden sich häufiger bewusst für eine monogame Beziehung und gehen generell achtsamer und umsichtiger mit dem Thema Sexualität um“, erklärt Nicole Kienzl.
„Viele denken, je mehr Partner:innen, desto mehr Erfahrung. Aber das ist ein Trugschluss“, erläutert sie weiter. „Wer über Jahre mit einer Person schläft, entwickelt ein tiefes Verständnis für den eigenen Körper und die Bedürfnisse der anderen Person – das ist etwas ganz anderes als wechselnde Begegnungen.“ Aus ihrer Erfahrung spiele weniger Anzahl der Sexualpartner:innen eine Rolle, sondern eher, ob sexuelle Bedürfnisse und Wünsche, eine selbstbestimmte Sexualität in monogamen Langzeitbeziehungen erfüllt werden oder nicht.
Qualität vor Quantität
Auch Romina erlebt das so: „Ja, ich bin neugierig. Aber ich will nicht einfach nur mit jemand anderem Sex haben. Ich will Sex mit meinem Partner – und zwar gut und regelmäßig. Darum geht’s mir.“ Die Wienerin hat mit ihrem Partner offen über ihre Gedanken gesprochen – ein Gespräch, das für sie viel Druck rausgenommen hat. „Ich darf sagen, was ich denke und darf auch Fantasien haben – und sie mit ihm teilen.
Das schafft Sicherheit. Ich fühle mich nicht falsch, nur weil ich mich frage, wie es wäre, jemand anderen zu küssen.“ Fantasie sei das eine: „Etwas davon tatsächlich in die Realität umzusetzen steht eigentlich nicht auf meiner Agenda.“
Weites Feld an Möglichkeiten
Dass solche Gedanken nicht automatisch Probleme bedeuten, findet auch Nicole Kienzl: „Gerade in stabilen Partnerschaften gibt es Raum, über Wünsche und Fantasien zu sprechen – ohne dass es gleich um Trennung oder offene Beziehungen geht.“ Wichtig sei, dass beide Seiten bereit sind, über ihre Vorstellungen und Ängste zu sprechen. Denn oft steckt hinter der vermeintlichen „Fear of missing out“ etwas ganz anderes: ein Wunsch nach Abwechslung, nach Spannung, nach neuer Intimität.

Neue Impulse
Romina fühlt sich sicher in dem, was sie lebt. „Ich beschäftige mich viel mit Sexualität – durch Bücher, Podcasts, Gespräche. Ich glaube nicht, dass man alles selbst erlebt haben muss, um sich auszukennen. Eine Freundin erzählt mir manchmal von ihren One-Night-Stands – so toll hört sich das für mich nicht an.“ Sie hat für sich Wege gefunden, neue Impulse in ihre Beziehung zu bringen – ohne mit anderen Partnern Erfahrungen zu sammeln. „Man muss sich den Reiz manchmal selbst schaffen“, sagt sie und lacht. „Das ist die Kunst.“
Und was, wenn die Zweifel doch mal stärker werden? Für solche Momente rät Expertin Nicole Kienzl zu einem ehrlichen Blick nach innen: „Man kann sich fragen: Kommt dieses Gefühl aus einem echten Wunsch heraus? Werden meine Bedürfnisse ernstgenommen?“
Auch ein Austausch mit dem Partner kann helfen – genauso wie das Wissen, dass Gedanken nichts Verbotenes sind. „Fantasien, Neugier, sogar gelegentliche Sehnsüchte – das alles gehört zur menschlichen Sexualität. Entscheidend ist nicht, wie viele Menschen man im Bett hatte – sondern wie wohl man sich im eigenen Körper und in der Beziehung fühlt“, so Kienzl.
Ihr Fazit: „Es gibt kein richtig oder falsch. Weder ein hoher Bodycount noch ein einziger Sexualpartner macht jemanden besser oder schlechter. Viel wichtiger ist: Lebe ich die Sexualität, die zu mir passt? Und kann ich offen damit umgehen? Wenn das gegeben ist, ist alles gut.“
Good to know
Wie kann man dem Bedürfnis nach mehr sexuellen Erfahrungen mit anderen Partner:innen innerhalb monogamer Beziehungen begegnen? Psychotherapeutin Nicole Kienzl rät zu folgenden Möglichkeiten:
- Rollenspiele einbauen – sich selbst und den anderen in unterschiedlichen Rollen zu erleben, kann dem Bedürfnis nach mehr Erfahrung entgegenkommen.
- Sexpositive Partys besuchen.
- Gespräche mit Freund:innen führen – offen über Sexualität sprechen (Wie erleben nahestehende Personen ihr Liebesleben mit wechselnden Partner:innen tatsächlich?)
- Flirten / innige Gespräche mit anderen führen.
- Sich generell mehr Freiräume geben – alltägliche Dinge auch mit anderen Menschen erleben.
- Offene Beziehung als Möglichkeit ansehen.
- Eine dritte Person in das gemeinsame
- Liebesspiel einladen.
*Name auf Wunsch von der Redaktion geändert