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Die Ehe ist ein Vertrag – und nicht dasselbe wie der Ehevertrag. Doch wer informiert sich vor dem Weg zum Standesamt, was er oder sie unterschreibt? Und wann kann eine Lebensgemeinschaft zum Eigentor werden? Expertinnen erarbeiten einen neuen Wegweiser.
Es ist eine Urban Legend, die es zu entlarven gilt: Nein, eine Lebensgemeinschaft und eine Ehe unterscheiden sich nicht bloß darin, dass es ein Papier mit zwei Unterschriften gibt. Allein im Vorjahr heirateten in Österreich 45.855 Paare. Hinzu kamen weitere 1.955 eingetragene Partnerschaften. Eine spannende Frage an die insgesamt knapp 100.000 Menschen wäre: Habt ihr den Vertrag vor dem Unterschreiben gelesen?
Die Autorin dieser Zeilen meint das nicht zynisch, sie tat es selber nicht. Wenige halten sich vor Augen: Die Ehe ist ein rechtsgültiger Vertrag. Wie viel Gewicht sie hat, stellen die meisten erst fest, wenn es um die Scheidung geht, bedauern die psychosozialen Beraterinnen Bettina Zehetner und Maria Schiestl vom Wiener Verein „Frauen* beraten Frauen*“. Einer der häufigsten Sätze, die sie hören: „Hätte ich das doch gewusst!“ Hier setzen die Expertinnen im Rahmen eines aktuellen Projektes an, das laufend Workshops und ab Ende November einen neuen Online-Wegweiser für die wichtigsten Stationen im Frauenleben beinhaltet. Die Message: sich informieren,
Grund 1: Wissen ist Macht
Vereinbarungen treffen und diese dokumentieren: „Der ideale Zeitpunkt dafür ist, bevor man heiratet bzw. eine Familie gründet“, sagt Psychotherapeutin und Juristin Maria Schiestl. Klingt unromantisch? „Es ist unromantisch, in Armut zu leben. Das kann passieren, wenn man nicht rechtzeitig die richtigen Fragen stellt“, ergänzt Bettina Zehetner.
Die gesellschaftliche Erwartungshaltung lastet schwer auf den Schultern der Frauen. „Beziehung, Zusammenziehen, Kinder, Karenz, Teilzeit-Job… Viele nehmen an, das ist der Weg, den man gehen soll. Das müsste aber nicht so sein“, betont die psychosoziale Beraterin. „Irgendwo in diesen Stationen denken sich viele plötzlich: Das wollte ich eigentlich nicht, das hat sich so ergeben. Warum war mein Mann nie in Karenz?“ Im Folgenden picken wir einige Rechte und Pflichten heraus, die Eheleute beziehungsweise eingetragene Partner:innen betreffen (der juristische Unterschied zwischen den zwei Formen ist minimal).
Grund 2: Diverse Lebensformen
Eine essenzielle Frage ist: Welche Lebensform ist die richtige für mich? Welche rechtlichen und ökonomischen Konsequenzen von Lebensgemeinschaft und Ehe habe ich? „Eine Lebensgemeinschaft bedeutet: Es gibt kaum ein rechtliches Band“, erklärt Maria Schiestl. „Wenn ich eine schöne Wohnung habe und vielleicht nicht auf ewig mit dem Partner zusammen sein möchte, ist es womöglich gescheiter, bei einer Lebensgemeinschaft zu bleiben. Manche sind sich nicht bewusst, dass sie eine:n Ehepartner:in bei sich wohnen lassen müssen“, führt Bettina Zehetner aus.
Ehegatten – in der Rechtssprache ist die Bezeichnung unabhängig vom Geschlecht – sind verpflichtet zusammenzuwohnen. „Die Ehewohnung ist rechtlich stark geschützt. Auch wenn beispielsweise der Frau die Wohnung gehört, kann sie ihren Mann nicht vor die Tür setzen, er könnte dagegen mit einer Besitzstörungsklage vorgehen“, sagt die Juristin Maria Schiestl. (Bei häuslicher Gewalt kann unabhängig davon, in welcher Form Menschen zusammenleben, eine Wegweisung ausgesprochen werden.)
Wenn aber eine Ehefrau die Ehewohnung verlässt, weil sie die Beziehung als unerträglich erlebt, kann auch das später bei einer strittigen Scheidung als Verfehlung gelten. Ist das Zusammenleben unzumutbar, ist ein Antrag auf „gesonderte Wohnungsnahme“ möglich, oder die Partner:innen einigen sich und halten das mit ihren Unterschriften fest. Lebt man in einer Lebensgemeinschaft, ohne schriftliche (!) Vereinbarungen getroffen zu haben, wird es umgekehrt bei einer Trennung schwierig.
„Wir haben Klientinnen, die lang ,nur‘ in einer Lebensgemeinschaft gelebt, aber traditionelle Rollenbilder erfüllt haben, die bei den Kindern waren, Einkommenseinbußen hatten – und trotzdem haben sie kaum Ansprüche. Wenn der Mann beispielsweise eine Wohnung kauft, er aber allein im Grundbuch steht und den Kredit bezahlt, sieht es für die Frau bei der Trennung schlecht aus, selbst wenn sie finanziell beigetragen hat, indem sie laufende Kosten und Lebensmittel bezahlt hat“, sagt Maria Schiestl. Im Idealfall stehen beide im Grundbuch und Zahlungen werden protokolliert. Das empfiehlt sich durchaus auch bei aufrechter Ehe.
Grund 3: Finanzen und Gütertrennung.
Viele Frauen überlassen bis heute finanzielle Angelegenheiten dem Mann, ungeachtet der Qualität seines Umgangs mit Geld. Grundsätzlich haben Ehegatten das Recht zu wissen, über welches Vermögen der jeweils andere Part verfügt bzw. wie das Einkommen aussieht. Maria Schiestl rät zu einem offenen Gespräch noch bei intakter Beziehung: „Man muss sich fragen: Was wollen wir tun, damit wir bei einer Trennung jeweils ein Einkommen haben, von dem wir leben können und unsere Pension gesichert ist? Es kann für beide Seiten schwierig werden: für die eine, die selbst zu wenig hat, und für die andere, die Unterhalt zahlen muss.“
Ein gesamtgesellschaftliches Problem ist die nicht entsprechend wertgeschätzte unbezahlte Care-Arbeit von Frauen. Zoomt man auf den Mikrokosmos Familie, so sagen aktuelle Untersuchungen, dass ein Vater mindestens ein halbes Jahr in Karenz gehen muss, damit weitreichende Veränderungen passieren können, erklärt Bettina Zehetner. Die finanzielle Benachteiligung von Müttern kann etwa durch das freiwillige Pensionssplitting (in Deutschland verpflichtend) und durch eine private Pensionsvorsorge, die beispielsweise während der Karenz- und Teilzeitjahre der Mann einzahlen kann, gelindert werden.
In Österreich gilt innerhalb der Ehe die Gütertrennung: Über das jeweilige Vermögen verfügen die Eheleute jeweils, wie sie möchten. Kommt es zur Scheidung, wird das Vermögen geteilt, das während der Ehe erwirtschaftet und gespart wurde. In die Ehe Eingebrachtes, Geerbtes, Geschenktes, Unternehmensanteile und Co. werden abgezogen.
Bis heute werden Männer mit Kinderwagen zu Helden stilisiert, dabei steht im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch ohne Angabe des Geschlechts: „Die Ehegatten sollen ihre eheliche Lebensgemeinschaft, besonders die Haushaltsführung, die Erwerbstätigkeit, die Leistung des Beistandes und die Obsorge, unter Rücksichtnahme aufeinander und auf das Wohl der Kinder mit dem Ziel voller Ausgewogenheit ihrer Beiträge einvernehmlich gestalten.“
Verpflichtet sind die Ehegatten auch „zur anständigen Begegnung“; „die größten Eheverfehlungen sind psychische, körperliche und ökonomische Gewalt. Wir kennen Fälle, in denen die Frau kleingehalten wird, indem sie kaum Geld bekommt und sabotiert wird, wenn sie arbeiten will“, führt Maria Schiestl an.
Grund 4: Die Scheidung
Die „idealere“ Variante ist eine einvernehmliche Scheidung, sofern es tatsächlich eine faire Einigung ist, betonen die Expertinnen. Die Eheleute müssen sich dabei auf mehrere Punkte einigen, die wichtigsten sind: das Aufteilen des ehelichen Vermögens, die Obsorge bzw. das Kontaktrecht für die Kinder sowie Unterhaltszahlungen und Alimente. Gelingt keine Einigung, kann eine Scheidungsklage eingereicht werden, „in der ein schuldhaftes Verhalten der anderen Person bewiesen werden muss. Österreich ist eines der letzten europäischen Länder, in denen es die Verschuldensfrage noch gibt“, erklärt die Beraterin Maria Schiestl.
Das kann mitunter zu langen Verfahren mit erheblichen Prozesskosten führen, deren Übernahme bis zum Schluss davon abhängt, wem was nachgewiesen werden kann. Zeug:innen zu finden ist nicht leicht, wissen die Beraterinnen; hilfreich ist es, wenn man möglichst präzise Dinge belegen kann. Beweise können Fotos, Social Media-Posts, Tagebuch- und Kalendereinträge sein.
Aus Angst vor langen (seelisch aufreibenden) Verfahren stimmen viele Frauen einer einvernehmlichen Scheidung zu, verzichten oft auf Unterhalt (und damit womöglich auch auf sozialrechtliche Leistungen) und sogar auf Alimente. „Das ist problematisch, denn Alimente sind ein Rechtsanspruch des Kindes. Frauen sind bis heute mit dem Vorurteil konfrontiert, sie wären gierig und würden bei einer Scheidung super aussteigen. Das haben leider viele verinnerlicht“, sagt Bettina Zehetner.
Aus einer jüngeren Studie aus Salzburg geht hervor, dass nur ein Drittel der Kinder, die nicht mehr mit dem Vater im selben Haus wohnen, den vollen korrekten Betrag an Alimenten erhält, gibt die Expertin zu bedenken.
Grund 5: Der Ehevertrag
Nicht zu verwechseln ist der Vertrag Ehe mit dem Ehevertrag, der individuell vereinbart und in der Regel in Form eines Notariatsakts abgelegt wird. Will man einen solchen aufsetzen, empfehlen die Expertinnen, sich im Vorfeld beraten zu lassen – und zwar unabhängig vom Partner (und dessen Anwalt). Niemand sollte sich unter Druck setzen lassen, voreilig etwas zu unterschreiben, auch das komme vor.
Wenn im Ehevertrag etwa eine einvernehmlich beschlossene Vorgehensweise im Falle einer Scheidung dokumentiert ist, kann es von Vorteil sein; alles kann darin aber nicht im Vorfeld geregelt werden. Der Verzicht auf Unterhaltszahlungen wäre beispielsweise sittenwidrig; dennoch ist das immer wieder ein Bestandteil jener Eheverträge, die Klientinnen in die Beratungsstelle mitbringen.
„Viele Frauen kommen leider erst unter großem Leidensdruck zu uns. Es gibt gesellschaftliche Bedingungen, die Frauen arg benachteiligen, die können wir leider nicht lösen. Aber wir versuchen, die Handlungsfähigkeit der Frauen zu stärken, indem wir sie auf viele Dinge aufmerksam machen. Je früher Beratung geholt wird, desto sinnvoller ist es“, betont Bettina Zehetner.
Nützliche Websites zum Thema Eherecht
Allgemein
Pensionskontorechner
Unabhängige Plattform zur Finanzberatung von Frauen
Netzwerk Österreichische Mädchen und Frauenberatungsstellen
Österreichische Plattform für Alleinerziehende