Plötzlich Alzheimer: Johanna Constantini über die Demenzkrankheit ihres Vaters

Die klinische Psychologin und Autorin im Interview

6 Min.

© Mel Burger

Mehr als 130.000 Menschen leiden in Österreich an einer demenziellen Erkrankung. Einer davon war der ehemalige Fußballnationaltrainer Didi Constantini, dem diese Krankheit im Alter von 64 Jahren diagnostiziert wurde. Seine Tochter Johanna hat seither zwei Bücher veröffentlicht, wo sie Einblicke in das Leben ihres Vaters und Strategien zum Umgang mit Demenzkranken gibt. Fünf Jahre nach der Diagnose ist der frühere ÖFB-Teamchef im Alter von 69 Jahren verstorben. Wir haben vor einigen Monaten mit der Tochter von Didi Constantini ein Interview geführt.

tochter schrieb zwei Bücher

Johanna Constantini ist im Wald joggen, als sie am 4. Juni 2019 einen Anruf mit der Nachricht bekommt, dass ihr Vater in einen Verkehrsunfall verwickelt ist. Im Spital erfährt sie, dass er es war, der den Geisterunfall auf der Brennerautobahn verursacht hat. Einige Wochen später dann die Diagnose: Didi Constantini, ehemals gefeierter Star und Liebling der Sportwelt, ist an Demenz erkrankt. Die Gerüchteküche brodelt und die Familie entschließt sich, mit seiner Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen. 

Fünf Jahre später war Didi Constantini (69) rund um die Uhr auf Betreuung angewiesen. Tochter Johanna, die in Innsbruck als selbstständige klinische Psychologin arbeitet, hat während dieser fünf Jahre im Seifert Verlag zwei Bücher herausgebracht. 

Im ersten Buch „Abseits“ (erschienen 2020) gewährt sie Einblicke in persönliche Strategien und in die Karriere ihres Vaters. lm zweiten Buch „Abseits 2“ (erschienen 2023) gibt sie Einblicke in den Umgang mit Demenzkranken und legt den Fokus verstärkt auf Hilfe und Unterstützungsmöglichkeiten für Angehörige. Zudem hat die 31-Jährige Didi Constantini zum zweifachen Großvater gemacht. Johanna Constantini im Telefoninterview über den Umgang mit der Demenzerkrankung ihres Vater.  

Wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass Ihr Vater an Demenz erkrankt sein könnte?
Nach seinem Karriererücktritt vor 14 Jahren hat sich Papa immer mehr zurückgezogen und wir haben Stimmungsschwankungen bemerkt. Die Vergesslichkeit ist dann sukzessive gekommen sowie auch Orientierungsschwierigkeiten und Wortfindungsstörungen. Aber zu Beginn war vor allem die depressive Stimmung dominant. 

© privat

Am 4. Juni 2019 hat er auf der Brennerautobahn einen Geisterfahrerunfall verursacht. Einige Wochen später dann die Diagnose Demenz. Wann haben Sie in der Familie entschieden, seine Erkrankung öffentlich zu machen? 
Da sich Papa schon vor dem Unfall immer mehr zurückgezogen hat, wurde bereits im Vorfeld sehr viel geredet. Es gab sogar Gerüchte über eine Alkoholsucht. Diese sind allerdings nie direkt an uns herangetragen worden, sondern wir haben sie über Dritte erfahren. Dann hatte er den Unfall, der medial sehr präsent war und wo es auch rechtlich notwendige Untersuchungen gab. Daher haben wir beschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen. 

Ihr Vater ist in einem Pflegeheim untergebracht, wie schwierig war dieser Schritt für die Familie?
Natürlich ist uns diese Entscheidung nicht leichtgefallen, aber Papa zu Hause zu pflegen, war nicht mehr lebbar, weder für uns, noch für ihn. Es war ein Auf und Ab. Einmal war mehr Akzeptanz da, einmal weniger. Aber wir haben ihn in dieser Phase sehr intensiv begleitet und geschaut, dass er tagsüber entweder bei meiner Mama oder bei mir zu Hause sein konnte. Dieser sanfte Übergang hat uns allen geholfen, mit der neuen Situation klarzukommen.

Inwieweit ist Ihnen im Umgang mit der Krankheit Ihr Beruf als klinische Psychologin zugutegekommen? Vor allem im Vorfeld bei den Depressionen?
Durch meinen Beruf bin ich gut vernetzt und weiß, wo man sich hinwenden kann, um Unterstützung oder Hilfe zu bekommen. Dass ich methodisch in irgendeiner Form mit ihm interagiere, wollte Papa nicht. Er war auch nicht der Typ, der diese Art von Hilfe in Anspruch nehmen wollte, was bei einem familiären Naheverhältnis auch nicht einfach ist.

Sie haben Ihre Erfahrungen niedergeschrieben. Wann fiel die Entscheidung, ein Buch darüber zu veröffentlichen?
Anfangs wollte ich mir einfach alles von der Seele schreiben. Lange Zeit war ich mir nicht sicher, ob ich daraus ein Buch verlegen lassen soll. Demenzratgeber gibt es ja bereits zur Genüge. Wichtig war mir, mit meiner Offenheit anderen Betroffenen und Angehörigen zu helfen, aber dennoch die Privatsphäre von uns als Familie und allem voran von Papa zu bewahren. Dank Verlegerin Maria Seifert ist mir dieser Balanceakt gelungen. Die Entscheidung für das zweite Buch ist mir wesentlich leichter gefallen, da ich auf das erste Buch viele Rückmeldungen von Menschen in ähnlichen Situationen bekam, die mir mitteilten, dass es ihnen hilft, wenn man offen über Demenz und den Umgang mit dieser Krankheit spricht.

Was raten Sie Menschen, die in ähnlichen Situationen sind? Es ist sicher sehr traurig, wenn man den Vater an die Demenz verliert?
Wie jede andere Krankheit ist auch Demenz teilweise sehr tragisch und traurig, aber wenn man damit konfrontiert ist, funktioniert man. Viele Dinge, die wir uns nie vorstellen hätten können, sind heute für uns zur Normalität geworden. Man wächst in diese Situation hinein und man wächst auch daran. Ganz wichtig ist, dass man sich als Familie nicht zurückzieht oder versteckt, denn dann sind die Intensivität und die Pflegeherausforderungen sehr groß und auch psychisch schwer zu verkraften.

Je mehr Menschen sich nach außen wenden und um Hilfe bitten, desto mehr Hilfe wird es auch geben müssen. Ausreichend Unterstützungsmöglichkeiten gibt es leider noch nicht. Mein Papa war mit 64 Jahren noch relativ jung. Anfangs war er in der Tagespflege, wo die meisten Menschen über 80 Jahre alt waren. Zum Glück hat er es halbwegs gut angenommen.

Wie jede andere Krankheit ist auch Demenz sehr traurig, aber wenn man damit konfrontiert wird, funktioniert man.

Johanna Constantini

Sie sind selbstständig tätig und haben zwei kleine Kinder. Es ist sicher nicht einfach, sich mental abzugrenzen …
Das gelingt mir einmal besser und einmal schlechter. Auch bei uns hat nicht immer alles super funktioniert und wir hatten Phasen in der Familie, die sehr anspruchsvoll und belastend waren. Aber dann gibt es Phasen, in denen es leichter und besser geht. Wir halten fest zusammen und haben früh geschaut, dass wir Entlastungsangebote in Anspruch nehmen.

Sie appellieren für mehr „Demenzfreundlichkeit“ in der Gesellschaft. Können Sie das näher erklären?
Ja, das kann ich am Beispiel meines Papas gerne erklären. Egal ob beim Treffen mit seiner Stammtischrunde oder im Fußballstadion, er wurde immer als Didi angenommen. Es stand nicht an erster Stelle, dass er an Demenz leidet, sondern vielmehr, wie es ihm geht, und dass er – so gut wie nur möglich – am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Oft werden Menschen ausgegrenzt oder ins Abseits gestellt, wenn sich ihre Persönlichkeit aufgrund von Demenz verändert.

Daher ist es wichtig, dass wir alle wieder mehr aufeinander achten. Viele Dinge werden heute so verkompliziert, dass selbst Menschen ohne Demenzerkrankung Schwierigkeiten haben, ihnen zu folgen. Es genügt bereits, dass viele Leute mit bestimmten Technologien nicht mehr Schritt halten können.

Kennt Ihr Vater Ihre Kinder, also seine Enkelkinder noch?
Ich glaube nicht, dass er sie genau zuordnen kann. Das geht vielleicht in wenigen Momenten und ist von seiner jeweiligen Tagesverfassung abhängig, aber er weiß emotional, dass wir seine Familie sind. Das bleibt womöglich auch so, weil es bisher immer so war.

Wie unterscheidet sich Ihr erstes Buch vom zweiten?
Im ersten Buch ging es mir vor allem darum, Papas berufliche Laufbahn niederzuschreiben. Im zweiten Buch wird der Fokus intensiver auf die Begleitung von Personen gelegt, die an Demenz erkrankt sind. Zudem stelle ich die Verlernerfahrungen meines Papas den Lernerfahrungen meiner Tochter gegenüber.

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