Sandra Hüller im Interview

Sandra Hüller im Interview zum Kinostart von „Zwei zu eins“

Sandra, die Große

9 Min.

© X Verleih AG/ Peter Hartwig

Publikum und Kritiker:innen feiern sie als eine der besten Schauspieler:innen Europas. Wie es dazu kam, was diesen Sommer kommt, erzählt sie im Interview zum Kinostart von „Zwei zu eins“.

„Ruhig bleiben. Einfach ruhig bleiben.“ – Das war Sandra Hüllers Antwort auf die schöne letzte Interviewfrage der Kollegin aus Deutschland. Ich wünschte, sie hätte sie schon zu Beginn gestellt. Vielleicht hätte das Mantra der Schauspielerin auch mein galoppierendes Herz zumindest in ein trabendes verwandelt. Sandra Hüller ist – an der Seite von Peter Simonischek – im gleichnamigen Film Toni Erdmanns Tochter (2016).

Sandra Hüller ist die Frau des Kommandanten des KZ Auschwitz in „The Zone of Interest“ und sie ist die Hauptverdächtige in „Anatomie eines Falls“, ihren Mann getötet zu haben (beide 2023). Selbstverständlich spielt sie diese Figuren, aber irgendwie reicht das Verb nicht aus, um das zu beschreiben, was mit ihr passiert, wenn sie in eine Rolle schlüpft.

Das sieht auch die Fachjury so: 2023 gewinnt Hüller den Europäischen Filmpreis als beste Hauptdarstellerin, 2024 den französischen César und sie wird zudem für den Golden Globe, den Oscar und zweifach für die BAFTA Awards nominiert.

Sandra Hüller, aufgewachsen in der ehemaligen DDR, ist ohne Zweifel eine der größten Schauspieler:innen Europas – und überhaupt. Am 25. Juli kommt Natja Brunckhorsts Komödie „Zwei zu eins“ ins Kino, Hüller spielt darin die Hauptrolle Maren (unter anderem mit Max Riemelt und Ronald Zehrfeld) – und eine Vielleicht-Interview-Möglichkeit flattert in die Redaktion. Da überlegt man nicht. Da sagt man sofort zu, hofft über das ganze Wochenende – und jubelt lauthals, als die Zusage kommt.

Gemeinsam mit zwei Journalist:innen aus Deutschland begegne ich dem Star in einem Online-Gespräch; Sandra Hüller überlegt bei den Fragen jeweils kurz, sie ist präzise, plaudert nicht, trotzdem geht sich Herzlichkeit aus – und sie verabschiedet sich von uns drei jeweils mit dem Vornamen.

Die Komödie „Zwei zu eins“ erzählt das wilde – und auf wahren Begebenheiten basierende – Abenteuer einer Community, die 1990 per Zufall die eingelagerten Millionen der DDR entdeckt und mit einem kniffligen System das wertlos gewordene Geld zu wertvollem macht. Nebenher behandelt Natja Brunckhorsts Film große Themen wie Gemeinschaft, Politik und Freiheit köstlich pointiert und mit erstaunlicher Leichtfüßigkeit.

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„Geld ist gedruckte Freiheit“, steht auf dem Plakat – was halten Sie von Dostojewskis Zitat?

Sandra Hüller: In dem System, für das wir uns offenbar entschieden haben, ist es so. Das ist natürlich – wie alles andere auch – infrage zu stellen.

Was bedeutet für Sie persönlich Freiheit?

Freiheit fängt innen an, indem man sich bestimmte Gedanken erlaubt. Ich glaube, dass man unter den schwierigsten Umständen innerlich frei sein kann.

Sie waren zuletzt eher in ernsten Filmen zu sehen, diesmal in einer Komödie. Was hat Sie an diesem Projekt gereizt?

Mich fasziniert die Mischung aus Melancholie und Leichtigkeit, die Natja Brunckhorst einfangen konnte. Ganz toll finde ich an Maren (ihrer Figur, Anm.), dass sie irgendwie gar nicht zu beschädigen ist, dass sie eine sehr praktische, positive Person ist, die sich aus allem das Beste raussucht, ohne eine Opportunistin zu sein. Sie findet immer eine Alternative zu dem, was scheinbar möglich ist.

Sie wurden in der ehemaligen DDR geboren, wo der Film spielt. Wie haben Sie den Dreh mit Trabi und Co erlebt?

Es gab viele Sachen, die sehr vertraut waren; zu einem Trabi-Sound habe ich ein anderes Verhältnis, als Menschen, die ihn noch nie gehört – oder vor allem gerochen haben. Aber das sind äußerliche Sachen, zu denen ich kein großes Gefühl habe. Ich habe viel mehr die Gemeinschaft genossen, die entstanden ist, dass wir wirklich als Ensemble gespielt haben und alle denselben Stellenwert hatten.

Auch wenn das Plakat jetzt so aussieht, als wäre ich was Besonderes, hat sich das beim Spielen nicht so angefühlt – das waren alles wir.

Sehr schön finde ich, dass der Film den Begriff und das Verständnis von Familie ein Stück weiter aufmacht …

Das war ein weiterer Grund, warum er mich interessiert hat: Nebenher wird eine ganz große Beziehungsutopie erzählt. Maren ist eine unermüdliche Werberin für den Gedanken, nicht in einer Kleinstfamilie zu leben, sondern in etwas Größerem. Sie denkt dabei ganz praktisch: Wir lieben uns doch alle drei, warum soll man das aufteilen in „mit dir bin ich verheiratet“ und „du darfst ab und zu vorbeikommen“?

Das hat auch etwas mit Gemeinschaft zu tun und es ist für unsere Gesellschaft vielleicht gar keine schlechte Idee, sich breiter aufzustellen. Jüngere Freund:innen, die jetzt Kinder bekommen, merken gerade, dass es zu zweit gar nicht geht, ohne den Weg einer Person zu beschneiden und zu beschränken; es braucht auch weitere Leute, unabhängig davon, ob die jetzt romantisch beteiligt sind. Je größer das Netz einer Familie, desto besser ist das für alle Mitglieder, das sieht man in dem Film ganz schön.

„Zwei zu eins“ spielt in einer Zeit der großen Veränderungen. Welcher Wandel, den sie kürzlich
gewagt haben, hat Ihr Leben verändert?

Ich habe aufgehört, Alkohol zu trinken. Das verändert viel. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen den realen Dingen und den vielleicht sich gedachten, es findet tatsächlich alles statt und alles hat den gleichen Wert. Alles geschieht mir, nicht einer Variante von mir, die durch irgendetwas beeinträchtigt ist. Das ist ganz toll und hat auch etwas mit Freiheit zu tun; das kann ich ruhigen Gewissens weiterempfehlen.

Zwei zu eins Plakat mit Sandra Hüller
Große Themen in köstlicher Verpackung: in Natja Brunckhorsts „Zwei zu Eins“ ab 25. Juli. © X Verleih AG/ Peter Hartwig

Was muss eine Rolle oder ein Projekt mitbringen, damit Sie interessiert sind?

Das hängt auch damit zusammen, wo ich im Leben gerade stehe; ob ich Zeit habe, ob es mir zu schwer oder zu leicht ist, manche Sachen habe ich schon hundert Mal gelesen … Kurzum: Es ist der Bauch, ich kann es nicht an etwas Bestimmtem festmachen.

Eine Frau, die Männerkleidung trägt, damit sie im Leben vorankommt – was finden Sie am aktuellen Projekt „Rose“ des österreichischen Filmemachers Markus Schleinzer spannend?

Ich hoffe, dass Markus Schleinzer demnächst auch Bücher herausbringt, das wünsche ich ihm sehr, denn dieses Drehbuch ist so wunderschön wie selten eines, das ich in der Hand gehabt habe. Man tritt wirklich in eine ganz andere Welt ein. Wir haben uns bei „Sisi & Ich“ kennengelernt, ich habe das Gefühl, dass ich ihm vertrauen kann – und es hat mich die Aufgabe interessiert, mich als Figur zu verkleiden.

Meine Angst, entdeckt zu werden, ist hier doppelt: Da ist einerseits die Angst, als Spielerin nicht zu genügen, die einen ja doch manchmal ereilt, und andererseits die existenzielle Angst der Figur, gelyncht zu werden, wenn entdeckt wird, dass sie nicht das Geschlecht hat, das sie vorgibt zu haben. Ich muss also zwangsläufig lügen, was ich im Spiel sonst versuche zu vermeiden, weil ich immer ehrlich sein will; das ist schwerer als ich dachte.

Vor etwas mehr als einem Jahr begann der große internationale Preismarathon in Cannes mit „The Zone of Interest“ und „Anatomie eines Falls“. Wie hat sich ihr Leben verändert? Worauf sind Sie stolz?

Das war wirklich eine sehr besondere Ausnahmesituation. Dass es so gut gelaufen ist, hätte sich niemand jemals ausdenken können. Vieles davon war Glück, vieles harte Arbeit. Mein Leben zu Hause hat sich überhaupt nicht verändert; wenn, dann bin ich darauf stolz, dass ich das geschafft habe.

Dass diese beiden Filme so viele Menschen auf unterschiedliche Art berühren und über ihr Leben oder den Umgang auch mit der eigenen Ignoranz nachdenken lassen, das ist das Tollste. Dass so viele diese Filme gesehen haben, uns bis heute darauf ansprechen, weil sie viele Gedanken dazu im Kopf haben, oder dass – ich denke dabei an „Anatomie eines Falls“ – einige Frauen oder auch Männer in ihren Beziehungen jetzt dieses Vokabular zur Verfügung haben, das ist es, worum es geht.

Es gibt jetzt sogar ein T-Shirt mit einem Monolog von Sandra (ihre Figur, Anm.) – da kann man dann im Streit sagen: „Hier, lies mal.“ (lacht) – All das ist die eigentliche Auszeichnung.

Mein Leben zu Hause hat sich überhaupt nicht verändert; wenn, dann bin ich darauf stolz.

Sandra Hüller

Können Filme Dinge verändern, welche Kraft haben sie für Sie?

Für mich eine ganz große. Es haben schon oft Denkanstöße stattgefunden, die mein Leben bereichert oder durchaus verändert haben.

Wie verabschieden Sie sich von Rollen?

Viele Schauspieler:innen sagen, sie tun sich damit nicht so leicht. Am Anfang waren auch für mich die Grenzen zwischen meinem Leben und dem Leben von Figuren sehr verschwommen. Das hatte auch damit zu tun, dass ich noch nicht so richtig wusste, wer ich bin, was ich brauche. Das geht heute ganz gut, das hat auch mit der Arbeit mit Johan Simons am Theater zu tun.

Ich weiß: Ich trage ein Kostüm und vielleicht sogar eine Perücke, ich sehe anders aus und es sind nicht meine Worte. Sie kommen zwar aus mir, aber es sind die Gedanken von jemand anderem. Damit habe ich keine Schwierigkeiten, doch manchmal fällt es mir schwer, mich von Teams und Kolleg:innen zu lösen, weil das jeweils eine sehr intensive Gemeinschaft ist.

Wie darf man sich das vorstellen, bekommen Sie seit der Oscar-Nominierung vielfach mehr internationale Angebote, braucht man da eine:n Agent:in in Amerika?

Ja, es gibt mehr internationale Angebote und es gibt auch eine amerikanische Agentur. Es bleibt aber trotzdem auch, wie es ist. Ich habe nach wie vor meine beiden wunderbaren deutschen Agentinnen und jetzt kommen eben noch ein paar dazu.

Welche ist die für Sie wichtigste Lektion Ihrer Laufbahn? Gibt es da womöglich eine Art Mantra?

Ruhig bleiben, einfach ruhig bleiben.

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